Einleitung
Schönheit ist nicht in Mode. In der aktuellen Designszene versichert uns ein Großteil der angesehenen Gestalterinnen und Gestalter, nicht an Schönheit interessiert zu sein. Künstler vermeiden sie, um nicht in der Schublade »dekorativ« oder »kommerziell« zu landen. Und man kann stundenlang in Architekturbüchern blättern, ohne dem Begriff auch nur ein einziges Mal zu begegnen. Einst eine universelle Sehnsucht, endete das Streben nach Schönheit zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einer Bruchlandung.
Seitdem bekehren Designhochschulen ihre Studentinnen und Studenten zu modernistischen Prinzipien: Einheitlichkeit, Raster und rechtwinklige Kompositionen, gepaart mit einer Vorliebe für Schwarz, Weiß und Beige. Der gestalterische Ansatz beim Entwurf von Gebäuden, Produkten und grafischen Arbeiten wurde rein analytisch, die Materialwahl gänzlich rational, die Funktionalität das alleinige Ziel. Architekten und Gestalter gerieten mit ihren Entwürfen in den Sog einer nahezu psychotischen Einförmigkeit. Häuserblocks aus den 50er Jahren mussten Jahrzehnte später wieder abgerissen werden, weil sie sich als unbrauchbar erwiesen: Sie stellten keinen lebenswerten Wohnraum dar.
Das soll nicht heißen, dass der Modernismus keinen Respekt verdient. In den richtigen Händen können die klaren Linien und reduzierten Strukturen großartige Ergebnisse liefern. Mit der Zeit wurden die Einschränkungen jedoch immer radikaler. Die Prinzipien des Modernismus taugen selten dazu, etwas zutiefst Individuelles zu kommunizieren – Persönlichkeit, Einzigartigkeit, Emotion – und haben häufig einen negativen Effekt auf die Phantasie. Die Wurzel des Problems ist der radikale Irrglaube, dass Schönheit altmodisch sei, irgendwie peinlich, – kein seriöses Ziel für zeitgenössische Kreative.
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Schönheit stehlen
Die Macht des österreichischen Imperiums, mit der Hauptstadt Wien als Zentrum, erreichte im 19. Jahrhundert ihren Zenit. Kaiser Franz Joseph ordnete an, dass der 1. Bezirk, zu dem auch die elegante Ringstraße gehörte, Sitz der wichtigsten Institutionen des Kaiserreichs werden sollte. Die Staatsoper wurde daraufhin im Neo-Renaissance-Stil gebaut, das Rathaus in Möchtegern-Gotik, das österreichische Parlament in Ersatz-Griechisch und das Burgtheater im Pseudo-Barock. Der extrabreite, von Bäumen gesäumte Boulevard wurde durch Parkanlagen betont und mit opulenten Villen vervollständigt. Um diese privaten Residenzen nach innen und außen ausschmücken zu können, gingen Architekten dazu über, aus Katalogen mit Ornament-Beispielen aller architekturgeschichtlichen Perioden zu bestellen. Und da es heute für den Laien nicht offensichtlich ist, bei welchem Gebäude es sich um ein Original und bei welchem es sich um einen Nachbau handelt, verdankt die Stadt Wien einen Großteil ihrer touristischen Beliebtheit diesen Bauten aus dem 19. Jahrhundert.
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Das Schönheitsarchiv
Dies ist ein Archiv schöner Dinge, die wir zusammengetragen haben. Bei der Auswahl dieser Stücke lag unser Fokus stets auf der formalen Qualität. Wir haben keinen Stuhl ausprobiert, um zu sehen, ob er bequem ist. Wir haben keinen Werber gefragt, ob eine Kampagne wirklich funktioniert hat, und wir haben auch nicht getestet, ob eine Lampe genug Licht spendet. Für einen guten Designer ist es einfach, Dinge so zu gestalten, dass sie funktionieren. Es ist nicht schwierig, einen Stuhl zu entwickeln, auf dem jemand sitzen kann – man muss kein Genie sein, um eine Sitzfläche mit einer Rückenlehne und vier Beinen zu kombinieren. Es braucht aber wirkliches Talent, um im 21. Jahrhundert einen Stuhl zu produzieren, der bequem, attraktiv und relevant ist.
Auch wenn »schön« unser einziges Kriterium bei der Auswahl der Werke war, stellte sich bei näherem Hinsehen heraus, dass jedes einzelne Objekt perfekt funktioniert. Die Drachen-Robe unterstrich den Status des chinesischen Kaisers. Die Villiger Zigarrenverpackung hat Schweizer Stumpen (quadratisch geschnittene Zigarillos) 80 Jahre lang erfolgreich geschützt und an den Mann – oder die Frau – gebracht. Oswald Haerdtls Gläser werden seit fast einem Jahrhundert kontinuierlich produziert. Schönheit = Funktion. Sie funktioniert.
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Übersetzung vom Englischen ins Deutsche
Erschienen beim Verlag Hermann Schmidt Mainz